Menschen im Weiherviertel
Bregenz ist eine Stadt voller Gesichter und Geschichten – und sie lebt durch ihre Menschen. Genau diese stehen im Mittelpunkt der neuen Initiative „Menschen in Bregenz“. Den Auftakt macht das Weiherviertel. In kurzen, authentischen Porträts werden Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen vorgestellt – bewusst vielseitig und zufällig ausgewählt, um die ganze Bandbreite der Bregenzer Stadtgesellschaft abzubilden. Die Initiative entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Bregenzer Stadtmarketing und der PRISMA Unternehmensgruppe, die sich seit Jahren für lebendige Stadtentwicklung und innovative Quartierskonzepte einsetzt.
Luzia Lienhard-Giesinger
Von der Bregenzer Farbenschachtel nach Bosnien
Von Haus aus ist Lucia Lienhard-Giesinger Malerin. Inzwischen „malt sie mit Stoffen“, wie sie es formuliert. Keine große Umstellung, findet Lucia Lienhard-Giesinger: „Die Stoffe haben mich gelehrt, was zu tun ist beziehungsweise was möglich ist.“
Am Anfang der Arbeit in ihrer „Bregenzer Farbenschachtel“ – so nennt sie ihr Atelier mit den vielen Stoffen – legt sie Stoff-Rechtecke auf dem Boden der Werkstatt in der Weiherstraße 2 aus. Dann fügt sie Stoff hinzu, nimmt an anderer Stelle Material weg – bis sie schließlich zufrieden und das Bild gemalt ist. Mit Stecknadeln fixiert sie die Entwürfe und schickt sie etwa acht Mal im Jahr nach Goražde, eine 1.200 Kilometer entfernte Kleinstadt im Osten Bosnien-Herzegowinas. Dort arbeiten elf Frauen an je einem Entwurf. „Sie entscheiden selbst, wie sie die Farbflächen übernähen, wie sie die Linien setzen“, ergänzt Lucias Mann Daniel Lienhard. So entstehen diese besonderen Quilts, unverwechselbare Unikate aus drei Lagen.

SEIT ÜBER 30 JAHREN
Als fertige Kunstwerke kehren sie von der Drina an den Bodensee zurück, wo sie vor Ort verkauft werden – oder in Ausstellungen zu sehen sind. Lucia und Daniel kamen beispielsweise in die Kunsthalle Feldbach (Steiermark), ins Museo d’arte moderna von Verona oder auch in die Berliner Kultur- und Kinderwerkstatt bau.stelle Lichterfelde Ost. „Und das alles, ohne dass wir uns beworben haben! Wir sind immer eingeladen worden“, betont Daniel. Der Ausgangspunkt für dieses erfolgreiche grenzüberschreitende Projekt ist ein denkbar trauriger: der Jugoslawien-Krieg. Im Jahr 1993 kamen 3.000 Vertriebene nach Vorarlberg. Rund 130 von ihnen landeten im Flüchtlingsheim Galina, einer ehemaligen Kaserne zwischen Nenzing und Frastanz. Eine Psychotherapeutin sprach Lucia Lienhard-Giesinger und andere Künstler:innen an, den Flüchtlingen eine sinnvolle Beschäftigung in einer textilen Technik anzubieten. Lucia wollte gerne mitmachen und entschied sich für die Technik des Patchwork-Quilts, ohne je selbst einen Quilt genäht zu haben. „Das war ein Glück“, erinnert sich Lucia.

INTENSIVER AUSTAUSCH
Nach und nach haben sich immer mehr Frauen für Lucias Angebot interessiert, vor allem eine: Safira Hošo. „Sie hat mir sofort zu verstehen gegeben, dass sie das Projekt mit mir machen will“, sagt die 71-Jährige. Und das gilt immer noch: Auch nach ihrer Rückkehr nach Goražde ist Safira die engagierte Ansprechpartnerin geblieben, die inzwischen fließend Deutsch spricht. „Immer wieder einmal reist sie zu einer unserer Ausstellungen“, erzählt Lucia. Sie selbst und Daniel fahren einmal im Jahr in die Gegenrichtung. „Ohne Safira gäbe es die Bosna Quilt Werkstatt bestimmt nicht mehr“, sagt Lucia. Für die bosnischen Frauen bedeutet die Arbeit gleichermaßen Existenzsicherung, eine meditative Tätigkeit in einer immer noch vom Krieg gezeichneten Umgebung und nicht zuletzt künstlerisches Schaffen.
FAIRES MITEINANDER
Inzwischen sind an die 3.000 Quilts verkauft worden. Auf bald 300 Ausstellungen waren die Bosna Quilts zu sehen. Die Preise liegen zwischen 900 und 2.500 Euro. Manche nutzen sie als Decke, andere als Wandbehang. Wichtig ist Lucia und Daniel, dass die Frauen sofort bezahlt werden. Sie sollen keinesfalls warten, bis ihr Quilt verkauft ist. Über die Hälfte des Geldes landet in Bosnien. „Meinen Anteil geben wir für die Mietkosten der Werkstatt aus, unsere Arbeit ist ehrenamtlich“, erklärt Lucia.
WERTSCHÄTZUNG
Wenn Lucia und Daniel die Reise nach Goražde antreten, haben sie eine besondere Tradition begründet: Sie erzählen die schönsten sieben Quilt-Geschichten aus dem vergangenen Jahr. Über die Qualität der Arbeit müssen sie nicht diskutieren, sie war und bleibt tadellos. So berichten die Gäste aus Bregenz immer wieder, wie Käufer:innen auf einen bestimmten Quilt sparen oder ihn zu bestimmten Anlässen verschenken. „Diese Erfahrung, dass ihre Arbeit so viel wert ist, beeindruckt die Frauen und tut ihrem Selbstbewusstsein gut“, berichtet Daniel.
Die Bosna Quilt Werkstatt in der Weiherstraße 2 ist jeden ersten Samstag im Monat von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Weitere Termine auf Anfrage: www.bosnaquilt.at
Online ist auch ein Katalog der verschiedenen Quilts – sowie der Link zu einem 26 Minuten langen ORF-Film, den Annette Raschner im Frühjahr 2024 über die Bosna Quilt Werkstatt gedreht hat.
Text: Thorsten Bayer