Menschen im Weiherviertel
Bregenz ist eine Stadt voller Gesichter und Geschichten – und sie lebt durch ihre Menschen. Genau diese stehen im Mittelpunkt der neuen Initiative „Menschen in Bregenz“. Den Auftakt macht das Weiherviertel. In kurzen, authentischen Porträts werden Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen vorgestellt – bewusst vielseitig und zufällig ausgewählt, um die ganze Bandbreite der Bregenzer Stadtgesellschaft abzubilden. Die Initiative entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Bregenzer Stadtmarketing und der PRISMA Unternehmensgruppe, die sich seit Jahren für lebendige Stadtentwicklung und innovative Quartierskonzepte einsetzt.
Leefke Giselbrecht
Treffpunkt Klubheim des Schachklubs Bregenz an der Ecke Gerberstraße/Weiherstraße. Im „Gesellschafts- und Analyseraum“ sitzt eine hochgewachsene Jugendliche, die seit Jahren bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften weit vorne landet. Heuer ist Leefke Giselbrecht, Jahrgang 2009, Siebte geworden. „Das ist nicht schlecht, aber man kann’s besser machen“, findet sie. Das weiß sie selbst aus Erfahrung: Drei Titel hat sie schon gewonnen, den ersten als Achtjährige.
Ein Jahr später wiederholte sie ihren Erfolg und durfte zu den Weltmeisterschaften reisen. In Santiago de Compostela (Spanien) landete sie auf Rang 102 von 120. Die Rahmenbedingungen waren eine Herausforderung für die Neunjährige: Die Eltern oder der Trainer hatten zum Spielraum keinen Zutritt. „Es war für mich daher etwas schwer, da ich ja damals noch nicht so gut Englisch sprechen konnte“, erinnert sie sich mit einem Lächeln.

DAS ERSTE TURNIER MIT VIEREINHALB
Schon als kleines Kind war sie bei Spielen wie „Vier gewinnt“ kaum zu schlagen. „Bei Memory erst recht nicht“, ergänzt ihr Vater Dietmar lachend. Er selbst stammt aus dem Allgäu, seine Frau Christiana aus Wilhelmshaven an der Nordseeküste. Leefke kam in Bregenz zur Welt. Mit viereinhalb Jahren spielte sie ihr erstes Turnier. Bis dahin hatte sie ihrem größeren Bruder Jerrik bei Turnieren zugeschaut, jetzt wollte sie selbst mitmachen: „Mir macht es Spaß, Sachen vorauszudenken. Wenn ich eine funktionierende Kombination finde, freue ich mich. Dann wird mein Ehrgeiz noch größer, die Partie auch zu gewinnen.
KONDITION GEFRAGT
Ihr Ziel ist klar: wieder zu einer WM reisen und dieses Mal unter den Top 50 landen. Um es zu erreichen, betreibt sie hohen Aufwand: Viermal pro Woche fährt sie aus dem Vorkloster ins Weiherviertel zum Training bei IM (Internationaler Meister) Henryk Dobosz, mit dem sie eigene Partien und Kombinationen von Top-Spieler:innen analysiert. Dazu kommen zweimal im Monat Spiele (jeweils Freitag und Sonntag) sowie jedes Jahr vier Einzelturniere für den SK Bregenz. Beim SC Weiler im Allgäu ist sie zusätzlich als Mannschaftsspielerin dabei. Kondition braucht es auch im Wettkampf selbst – manche Partie dauert vier Stunden lang.

AUSGEPRÄGTE SOZIALE ADER
Leefke geht ins BG Gallus. Neben Mathematik und Physik ist ihr Lieblingsfach Sport – Handball und Basketball machen ihr besonders Spaß. Darüber hinaus spielt sie Fagott und ist Pfadfinderin. Manchmal nimmt sie ihr Schachbrett mit zur Schule und spielt in den Pausen mit ihren Klassenkamerad:innen. Dann gibt sie ihnen Tipps und motiviert sie. „Natürlich ist Leefke ehrgeizig. Sie ist aber auch lustig und geht mit anderen Menschen sehr offen um. Das ist bei Schachspieler:innen sehr unterschiedlich. Viele sind eher introvertiert. Sie achtet zuerst darauf, was die anderen machen und wie es ihnen geht. Erst dann schaut sie auf sich“, erzählt Vater Dietmar.
Ihr Vorbild ist die frühere ungarische Großmeisterin Judit Polgar, die als beste Schachspielerin der Geschichte gilt und Männer besiegt hat. Dazu gibt es auch bei Leefke eine schöne Geschichte: Als sie 10 Jahre alt war, spielte sie gegen einen Jungen. Sein Freund sagte zu ihm: „Du wirst doch wohl das Mädchen schlagen.“ Tat er nicht. Und jener Freund zog kurz darauf gegen Leefke ebenso den Kürzeren.
Hoch hinaus möchte sie so oder so. Beruflich soll es auf jeden Fall etwas Mathematisches sein. Als Studium reizt sie momentan am meisten ein Fach, das sich mit Erscheinungen im Universum befasst: Astrophysik.
Text: Thorsten Bayer