Menschen im Weiherviertel
Bregenz ist eine Stadt voller Gesichter und Geschichten – und sie lebt durch ihre Menschen. Genau diese stehen im Mittelpunkt der neuen Initiative „Menschen in Bregenz“. Den Auftakt macht das Weiherviertel. In kurzen, authentischen Porträts werden Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen vorgestellt – bewusst vielseitig und zufällig ausgewählt, um die ganze Bandbreite der Bregenzer Stadtgesellschaft abzubilden. Die Initiative entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Bregenzer Stadtmarketing und der PRISMA Unternehmensgruppe, die sich seit Jahren für lebendige Stadtentwicklung und innovative Quartierskonzepte einsetzt.
Lu Heimbach
Zum Abschied eine Linde
Genau 136 Schritte ist Lu Heimbachs Arbeitsstelle, die Stadtbücherei in der Gerberstraße, von der Wohnung ihrer Eltern entfernt. Im Weiherviertel ist Lu in den 1980er- und 1990er-Jahren aufgewachsen, gemeinsam mit den älteren Brüdern Florian und Andreas. Seit damals hat sich viel verändert.
„Wir hatten hier zwei Metzgereien, das Café Guglhupf, einen ADEG, die Bäckerei Holzmüller, die Wäscherei Sulzenbacher und den Schuhmacher Wieser“, zählt ihr Vater Herbert Berchtold auf. „Und nicht zu vergessen die Zoohandlung Helbok“, ergänzt Lu lächelnd, „da war ich besonders gern“. Die kurzen Wege sind geblieben: „Wir sind es immer noch gewohnt, zu Fuß einzukaufen oder zum Arzt zu gehen“, berichtet Mutter Martha Berchtold. Bahnhof und Bodensee liegen auch um die Ecke.

FRÜHERE UND HEUTIGE HEIMAT
Bunt war das Viertel damals und ist es auch heute noch. In der Nachbarschaft der Berchtolds wohnen beispielsweise Menschen aus Afghanistan, der Türkei oder von den Philippinen. Mit vielen von ihnen haben die Berchtolds Kontakt. Mit den anderen Parteien im eigenen Haus sowieso. Das liegt sicherlich zum großen Teil an der zugänglichen Art der beiden. „Man redet miteinander“, sagt er, als sei das heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Eine Rolle dürfte auch spielen, dass Herbert – obwohl längst pensioniert – immer noch gerne die Aufgaben eines Hausmeisters wahrnimmt: „Wenn eine Pumpe nicht funktioniert oder ein Handwerker kommt, sind wir die Ansprechpartner.“
Über 30 Jahre lang bildete er mit seiner Frau das Hausmeisterehepaar in einem gegenüberliegenden Gebäude: Bahnhofstraße 35, die Direktion der Vorarlberger Landesversicherung (VLV). Martha und Herbert waren für dieses und einige weitere VLV-Gebäude im Weiherviertel zuständig. „Wir wohnten ganz oben in einer Mansardenwohnung“, erinnert sich Martha. Im Jahr 2001 zogen sie um und fanden ganz in der Nähe eine neue Bleibe. Heute haben sie die ehemalige Heimat immer noch fest im Blick: Von der angebauten Loggia blicken sie auf die Rückseite der Häuser in der Bahnhofstraße.

EINGEBAUTES NAVI
Dazwischen liegt, für Passanten kaum zu sehen, ein großer Innenhof, der dem Nachwuchs als (früher deutlich grünerer) Spielplatz diente. Mittlerweile leben hier weniger Kinder. Doch Kinderlachen hört man im Viertel immer noch: zum einen rund um „Fidibuss“, die Betreuungseinrichtung für Bedienstete des Landes Vorarlberg, zum anderen vor allem im Weiherpark. „Wenn ich zurückdenke, haben dieses ausgelassene Spielen und die Vielfalt mit verschiedenen Nationen im Viertel schon meinen weiteren Werdegang mitgeprägt“, sagt Lu. Ihr Interesse an anderen Kulturen erwachte früh.
Dazu kam die Reiselust ihres Vaters: Vor seiner Hausmeister-Tätigkeit war er als Reisebus-Chauffeur in ganz Europa unterwegs gewesen. „Wenn wir mit ihm in den Urlaub fahren, brauchen wir kein Navi. Das ist in seinem Kopf eingebaut“, erzählt Lu lachend. Sie wollte immer im Reisebüro arbeiten – „um wie er die Welt zu entdecken und günstig zu verreisen“. Mit einem Reisebüro in Wolfurt setzte sie ihre Pläne um, bevor sie nach Zwischenstationen schließlich vor zehn Jahren zur Stadtbücherei Bregenz kam. Hier ist sie vor allem für Veranstaltungen zuständig und macht derzeit die Ausbildung zur hauptamtlichen Bibliothekarin.
ZWANGLOSER TREFFPUNKT STADTBÜCHEREI
Für viele ist die Stadtbücherei der Anlaufpunkt im Viertel – ein sogenannter Dritter Ort, „wo sich Menschen ohne Konsumzwang treffen können und dabei keine Rolle erfüllen müssen. Unsere Kundschaft sind nicht nur Literaturfreunde, manche treibt einfach die Neugier her. Wir punkten mit einem aktuellen Medienbestand, umfangreichen Angeboten für Familien, Kinder und Jugendliche, mit Zeitschriften, Filmen, verschiedenen Digitalangeboten und freundlichem Service. Auch Leute mit schmalerem Budget schätzen unser Angebot“, weiß Lu. Einen Wunsch hat sie: mehr Raum für Workshops, Leseförderung sowie Aufenthaltsplätze zum Verweilen, Lesen und Lernen.
LANGLEBIGES GESCHENK
Zurück von der Gerber- in die Weiherstraße, wo Martha auf ihrer Loggia steht und die Jahre Revue passieren lässt. Der stärker gewordene Auto- und Bus-Verkehr im Viertel gefällt ihr nicht. Gerne denkt sie hingegen an den Tag ihrer Pensionierung im Jahr 2002 zurück. Schließlich hatten sich die Kolleg:innen der VLV etwas Besonderes einfallen lassen: Sie kauften ihr eine Linde und pflanzten sie im Hof zwischen Bahnhof- und Weiherstraße ein. „Die Chefs haben selbst gegraben“, erinnert sie sich schmunzelnd. Ein Fotoalbum von damals hält die Eckdaten fest: 4 Meter hoch war die Linde, und 60 Kilogramm schwer. Seitdem ist einiges dazugekommen, Martha kann den Fortschritt täglich mitverfolgen.
Text: Thorsten Bayer