#zuversichtsgespräch mit Prof. Dietmar Eberle


Er zählt zu den prägendsten Architekten des deutschsprachigen Raums: Dietmar Eberle, Mitbegründer von Baumschlager Eberle Architekten, spricht im Interview mit PRISMA Vorstand Bernhard Ölz über verantwortungsbewusstes Bauen, die Rolle von Architektur in einer sich wandelnden Gesellschaft – und warum Energieeffizienz allein nicht ausreicht. Ein Einblick in das Denken eines Visionärs, der Architektur als kulturelle Aufgabe versteht.
Da musst du weniger mir gratulieren als dem Team von Baumschlager Eberle Architekten. Wir haben über die letzten Jahre ein großes Team an Architekten aufgebaut, das richtig gut ist. Sie sind seriös, ernsthaft, man kann sich auf sie verlassen, sie arbeiten hart, bis ein Projekt richtig gut ist. Das ist die Qualität von Baumschlager Eberle Architekten, nicht nur an einem Standort, sondern an mehreren Standorten. Was eine Wohnanlage oder überhaupt jedes Bauwerk braucht, ist eine starke Identität, einen starken Charakter. Der langfristige Wert entsteht nur durch die Akzeptanz der Menschen.
Einer der großen Herren im niederländischen Wohnbau ist Frank Bijdendijk, der (von 1982 bis 2008) Direktor der Wohnungsbaugesellschaft Het Oosten in Amsterdam war. Sie verwalten über 20.000 Wohnungen in Amsterdam. In den 1980er Jahren hat es große Hausbesetzungen in Amsterdam gegeben. Und er hat es geschafft, Verträge zwischen den Hausbesetzern und der Stadt herzustellen. Später sagte er, er möchte etwas bauen, wo er die Zukunft seiner Genossenschaft sieht: Er möchte 3% Rendite in den nächsten 100 Jahren und nicht 5% in den nächsten 10 Jahren. Der Wohnbau, wie wir ihn haben, ist das Resultat einer 100-jährigen Geschichte von einer Umverteilung von oben nach unten. Diese Umverteilung hat über die Wohnbauförderung stattgefunden. Ohne diese gäbe es Europa, wie wir es kennen, nicht. Eines der effektivsten Modelle ist das Schweizer. Da wird der Kredit nicht getilgt. Und die Stadt Wien ist bei Rankings so erfolgreich, da das Wohnen dort in Relation relativ günstig ist. Ein chinesischer Student hat bei mir an der ETH studiert und eine Arbeit darüber geschrieben, wie teuer es ist in den unterschiedlichen Ländern zu wohnen. Ergebnis war, dass China im Verhältnis eines der teuersten Länder der Welt ist. Und Zürich ist relativ günstig. Wir haben hier ein vollkommenes Versagen der öffentlichen Hand und der Politik im Umgang mit der Wohnungsfrage. Der Wohnbau wie wir ihn kennen und in dieser Qualität ist ohne öffentliche Hand nicht mehr finanzierbar.
Die Deindustrialisierung sehe ich nicht als Problem. Was wir erleben, ist eine Veränderung der wirtschaftlichen Mittel, mit denen wir unseren Wohlstand erwirtschaften. Um 1900 mit der Aufteilung Landwirtschaft, Industrialisierung und Dienstleistung, war der Beitrag der Landwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt ungefähr bei 60-70 Prozent. Heute ist der Beitrag der Landwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt bei ca. 3-4%. Also das ist eine dramatische Veränderung. Und jetzt erleben wir eine Verschiebung hin zum Dienstleistungssektor. Aber es werden andere, neue Bereiche entstehen, die uns viele Möglichkeiten geben.
Wir haben in Vorarlberg große Chancen in der Weiterentwicklung eines international tätigen Handwerks, mit entsprechender Qualifikation. Wir haben große Chancen in der Vernetzung. Vernetzung gab es immer: der größte Absatzmarkt von Bregenzerwälder Bergkäse war 1900 die Stadt Mailand. Produktiv sein, wo wir etwas erwirtschaften können, das ist halt die Herausforderung. Was sicher in der Deindustrialisierung eine große Rolle spielt, ist die Veränderung der Verkehrsträger. Also, bisher waren diese stark darauf ausgerichtet die aus der Industrialisierung entstehenden Produkte entsprechend zu verteilen. Im Rahmen der Digitalisierung sind wir nicht mehr auf die großen Verkehrstrecken angewiesen. Nun begreifen wir, was das wichtigste Potenzial der Zukunft ist – der Fußweg. Und das führt zum Städtebau. Dass wir dort städtische Strukturen brauchen, die zukunftsfähig sind, wo im Wesentlichen alle Lebensinteressen innerhalb einer großläufigen Distanz bewältigbar sind.
Die Zukunft der europäischen Stadt hängt von ihrer sozialen und kulturellen Akzeptanz ab. Nur das, was Menschen gernhaben, überlebt langfristig. Und das, was Raumplaner ignorieren, ist die ästhetische Frage der Akzeptanz. Fußläufigkeit ist ein Aufbruch in die Zukunft. Und da spielt, in all diesen Dienstleistungsbereichen, diese menschliche Dimension eine viel größere Rolle. Und die menschliche Dimension hat zu tun mit Begegnung.
Die künstliche Intelligenz ist ja eine große Befreiung. Und eine große Qualitätssteigerung der uns zur Verfügung stehenden Lösungen. Nur kann die KI nicht entscheiden, welche der vielen Lösungen, die sie am Ende generiert, für welchen Fall richtig ist. Entscheidungsträger ist der Mensch. Ist eine Bewertungsinstanz nicht vorhanden, entwickelt die KI eine Dynamik, die davon geprägt ist, dass sie sich nicht mit anderen Gebieten korreliert. Unser Job besteht darin, zu hinterfragen, was bedeutet dieses Ergebnis in Relation? Was die KI bis jetzt nicht kann, ist, Kontext zu beurteilen. Die KI rechnet alle Kältebrücken mit Formeln und Simulationen vor. Nur, was bedeutet das eigentlich? Da ist der Mensch gefragt.
Das ist für mich relativ einfach. Ich habe das große Glück gehabt, dass ich früh in meinem Leben angefangen habe, nur das zu tun, an was ich glaube und was für mich richtig und wichtig ist. Und dem folge ich bis heute. Manchmal ist das unangenehm für die Umgebung. Was mich antreibt ist dieses Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, dem verpflichtet zu sein, das drängt mich.
Der Bereich, in dem wir arbeiten, funktioniert ohne Partnerschaften nicht. Das Geheimnis des Erfolgs unserer Tätigkeit liegt immer in der richtigen Team- und Konstellationsbildung. Die Anforderungsprofile werden immer höher. Heute brauchen wir wahnsinnig viele Spezialisten, um überhaupt irgendein Thema abzuhandeln. Und keiner versteht den Gesamtzusammenhang.
Ein typisches Beispiel ist die Reduzierung des Themas Nachhaltigkeit auf CO2. Dazu habe ich einen Vortrag von Prof. Albert Waldvogel gehört. Er hat die großen Katastrophen der Erdgeschichte wie Yellowstone, Vulkanausbrüche wie 1815 in Indonesien, Meteoriten, zu einer Skala zusammengeführt, und mittels Algorithmus ermittelt, wie schwer die jeweilige Katastrophe war. Eine Katastrophe ist dann, wenn man viel zu spät draufkommt, dass es zu spät ist. Das Zitat stammt von Niall Ferguson.
Das ist einfach, oder? Von all dem CO2 und Methangas, das wir auf der Erde produzieren, gibt's nur drei Absorber: die Stratosphäre, wo die Abstrahlung nach oben nicht mehr funktioniert und sich die Erde erwärmt. Dann die Meere und der dritte große Absorber sind unsere Bäume. Holz ist der CO2-Speicher.
Meine Zuversicht gründet auf dem Vertrauen in die nächsten Generationen. Ich glaube, dass sie dazu in der Lage sind, beim entsprechenden Problembewusstsein, Lösungen zu entwickeln. Wenn ich das historisch betrachte, müssen wir zur Kenntnis nehmen, wir leben in der besten aller Gesellschaften, die es bisher auf dem Planeten gegeben hat. Und, wenn wir uns Europa anschauen, leben wir in einer Qualität, die für andere Luxus bedeutet. Kreativität, Einfallsreichtum und Engagement von Menschen das stimmt mich zuversichtlich.
Von 1500, also dem Ende des Mittelalters, bis 1800, haben wir ein Wirtschaftswachstum von ca. 600 Prozent (BIP). Von 1800 bis heute, haben wir ein Wirtschaftswachstum von etlichen tausend Prozent. Auslöser war die Französische Revolution und die Menschenrechtsdeklaration. Die Freiheit des Menschen ist das, was diese Entwicklung möglich gemacht hat. Rousseau hat die Freiheit des Menschen, als naturgegeben betrachtet. Das ist der wesentliche gedankliche Unterschied, also ein Modell zu haben, in dem Menschen gleich sind und die gleichen Rechte haben und die gleichen Möglichkeiten haben. Der Schlüssel: Das Verständnis, das Menschenverständnis. Wenn's darum geht, die Zukunft zu bewältigen, geht's um die Vorstellung, was für eine Idee vom Menschen habe ich? Und was erwarte ich von ihm? Und was gebe ich dem für Chancen und Möglichkeiten?